Die Kimakrise - eine Frage der Gerechtigkeit

Die Menschen, die am stärksten unter der Klimakrise leiden, haben sie nicht verursacht.

In den letzten Jahren wurde das Thema der Klimakrise immer präsenter. Mehr und mehr Expert:innen haben sich für die Einhaltung der Agenda 2030 des Pariser Klimaabkommen und der österreichischen Klimaziele eingesetzt. Derzeit scheinen diese noch recht aussichtslos. Aber wie sieht die Klimakrise eigentlich aus, auf welche soziale Folgen und Auswirkungen müssen wir ganz genau achten und wer muss tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden?

Ein Text von Christina Schauer und Martin Müller

 

Vor Millionen von Jahren war unsere Welt aus natürlichen Ursachen mal wärmer und mal kälter als heute. Doch jetzt erleben wir eine beispiellos schnelle Erwärmung, die auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, vor allem auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe, die Treibhausgasemissionen verursacht. Somit leben wir heute mit einer um durchschnittlich 1,1°C erhöhten Jahrestemperatur im Vergleich zum Jahre 1800. Das scheint vorerst kaum einen Unterschied zu machen, doch die Wechselwirkungen, die daraus entstehen, sind folgenschwer. Die Erde wird immer häufiger von Dürre, Überschwemmungen, Hitzewellen und Wirbelstürmen heimgesucht und die Menschen stehen immer häufiger vor Wassermangel, weggeschwemmten Häusern und Straßen, Nahrungsknappheit und der Angst ihre Existenz zu verlieren. Der Klimawandel hat bereits vielfältig negative Auswirkungen auf die menschlichen Systeme, einschließlich der Wassersicherheit und der Nahrungsmittelproduktion, der Gesundheit und Die Klimakrise – eine Frage der Gerechtigkeit des Wohlbefindens sowie der Städte, Siedlungen und Infrastruktur. (IPPC Report6) 

Doch der Klimawandel trifft nicht alle gleich. Er verschärft vor allem weitere soziale Ungleichheiten und es gibt eine eindeutige Antwort auf die Frage, wer am meisten mit den Folgen des Klimawandels bereits zu kämpfen hat und auch in der Zukunft zu kämpfen haben wird. 

 

 

SOZIALE FOLGEN 

Mit einem globalen Blick sehen wir bereits, dass die Verursacher:innen dieser Klimakrise und die von ihr Betroffenen nicht dieselben Regionen und Länder sind. Das zeigt auch der Bericht des Weltklimarats. Die Industrieländer der Nordhalbkugel verschulden den Großteil der CO2-Emissionen, aber andere Länder sind die Leidtragenden. Auch eine Studie aus dem Jahr 2020 zeigt den Globalen Norden als klaren Verursacher der Mehrheit an CO2. Im Gegensatz dazu ist der Globale Süden in seiner Gesamtheit nur für ein Drittel des Kohlenstoffdioxid-Austoßes verantwortlich. Teil davon ist auch der Kontinent Afrika, welcher selbst nicht einmal zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen verursacht. Dennoch leidet dieser am stärksten unter dem Klimawandel. Im Oxfam-Bericht 2022 werden dazu Afghanistan, Burkina Faso, Djibouti, Guatemala, Haiti, Kenya, Madagascar, Niger, Somalia und Zimbabwe als die 10 Länder definiert, die am schlimmsten an den Folgen der Klimakrise leiden und folglich als Klima-Hotspots benannt werden. Zusammen sind diese für nur 0,13 % der weltweiten Kohlenstoffdioxid-Emissionen verantwortlich und jedes von ihnen liegt im unteren Drittel der Länder, die am wenigsten auf den Klimawandel und seine Schäden vorbereitet sind. 

Der Weltklimarat (IPCC) warnt davor, dass insbesondere die Resilienz ärmerer Länder und Weltregionen schon bald erreicht sein könnte. Zusätzlich zu klimatischen Entwicklungen beschränken auch weitere Faktoren die Anpassungsfähigkeit von Menschen im Globalen Süden. Ausbeuterische Arbeit und Ressourcenentnahme für industrielle Fabriken im Rahmen des Kapitalismus sind nur zwei der Faktoren. Aber nicht nur die globale Ungleichheit wird verstärkt. Auch innerhalb der Bevölkerungsgruppen kommt es zu weiteren Ungerechtigkeiten. Hier sind vor allem armutsgefährdete und von Armut betroffene Familien, Frauen, ältere Menschen und Kinder von den Folgen der Klimakrise betroffen. Armutsgefährdete Familien sind bei Überschwemmungen und in engen Unterkünften dem Risiko körperlicher und psychischer Erkrankungen ausgesetzt, bei Hitzewellen leben sie oftmals in Ballungsräumen und können sich keine Maßnahmen gegen die Hitze leisten. Naturkatastrophen unterscheiden nicht zwischen den Geschlechtern. Es gibt jedoch deutliche Unterschiede dabei, wie Frauen und Männer die Auswirkungen des Klimawandels erfahren. Frauen und Kinder sterben bei einer Katastrophe mit 14-mal höherer Wahrscheinlichkeit als Männer, unter anderem weil sie später gewarnt werden, seltener schwimmen können und sich auf der Flucht um Angehörige kümmern. Bis zu 80% der 21,5 Mio. Menschen, die aufgrund von klimabedingten Katastrophen fliehen, sind Frauen. Auf der Flucht sind sie häufiger von körperlicher und sexualisierter Gewalt, Zwangsprostitution und Ausbeutung betroffen. (UN Women)

Kinder sind aus verschiedenen Gründen anfälliger für Klima und Umweltschocks als Erwachsene, u. a. wegen ihrer physischen und physiologischen Anfälligkeit und ihres erhöhten Sterberisikos. Viele Kinder leben zudem in Gebieten, in denen mehrere, sich überschneidende Klima- und Umweltgefahren auftreten. Etwa eine Milliarde Kinder leben laut dem Kinder-Klima-Risiko-Index in Hochrisiko-Ländern. Österreich liegt hier beim Klima-Risikoindex auf Platz 47 und gilt beim Kinder-Klima-Risiko-Index als geringes Risiko Land. (CCRI); (UNICEF CCRI)

In Österreich sind laut dem Bericht des Sozialministeriums vorrangig Hitzewellen und Naturgefahren relevant. „Hohe Temperaturen stellen besonders für ältere Personen, Kinder, Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität ein hohes Gesundheitsrisiko dar. Vor allem Stadtviertel mit dichter Bebauung und wenig Grünräumen sind von Hitzewellen stark betroffen. In solchen Stadtvierteln leben vermehrt sozioökonomisch benachteiligte Personengruppen. Zudem sind vermehrt armutsgefährdete Familien, Menschen über 65 Jahre, Menschen mit Migrationshintergrund oder niedrigem Bildungsstand in Österreich von den Folgen der Klimakrise betroffen. 

 

WER MUSS TATSÄCHLICH IN DIE VERANTWORTUNG GENOMMEN WERDEN? 

Manchen Zeitungsartikel und auch Politiker:innen wälzen das Erreichen der Klimaziele gerne auf Individuen und die Mittelklasse ab. Aber wenn wir weiter in die Materie eintauchen und uns noch einmal zurückbesinnen, erkennen wir, dass diese nicht die Verursacher:innen der erhöhten Emissionen, des Treibhauseffektes und des derzeitig herrschenden Systems sind. Der OXFAM-Bericht von 2020, welcher die Ungerechtigkeit zwischen Verursacher:innen und den Leidtragenden der Klimakrise untersucht, stellt klar, dass „die reichsten 10 Prozent (630 Millionen Menschen) für über die Hälfte (52 Prozent) der CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2015 verantwortlich sind. Das reichste 1 Prozent alleine für 15 Prozent, die ärmere Hälfte der Menschheit nur für 7 Prozent.“ 

 

BÜRGERLICHE POLITIK UND DAS „EISERNE GESETZ DER KLIMAPOLITIK“ 

Der Politikwissenschafter Roger Pielke Jr. postuliert 2019 das eiserne Gesetz der Klimapolitik: "Wann immer zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz gewählt werden muss, gewinnen Maßnahmen für Wirtschaftswachstum." Politisch gewinnt das Argument Wachstum vor allem aus einem Grund: Erwerbsarbeitsplätze stünden auf dem Spiel. In Wahrheit geht es aber um die Wertschöpfung für die Unternehmen. Bürgerliche Politik:innen und Initiativen verorten das Problem im Symptom CO2 und betrachten die wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Industriegesellschaften als weitgehend unabänderlich und universell. Klimapolitik wird demnach primär als technologische Variante, nicht als gesellschaftlicher Wandel konzipiert. Letzterer beschränkt sich meist auf Wettbewerbe, um den individuellen CO2-Fußabdruck – eine politisch neoliberale Ausformulierung dieser „Klimapolitik“ zu Lasten der bereits durch das Wirtschaftssystem ausgebeuteten breiten Masse der Bevölkerung. Plötzlich sind nicht mehr die großen Konzerne und Volkswirtschaften die großen Klimasünder, sondern die alleinerziehende Mutter im schlecht gedämmten Einfamilienhaus am Land, die mit dem alten VW Diesel zu ihrer Arbeitsstätte pendelt. In dieses Weltbild passt dann auch, dass sich mitunter aufgrund ehrlicher Sorge um unseren Planeten gesetzte Aktionen und Aktivismus von sogenannten „Klimaschützer:innen“ gegen die „Falschen“ richten oder die Regierung „Energiespartipps“ a la „Deckel drauf“ der ohnehin am stärksten betroffenen Bevölkerung ausrichtet. Darüber hinaus führt diese Art der Auseinandersetzung zu einer Spaltung der Bevölkerung. Schon jetzt nutzen populistische Parteien diese Stimmung und präsentieren sich als einzige Alternative für Menschen, die sich die individuellen Maßnahmen für den Klimaschutz nicht leisten können (oder wollen). Wir hingegen stellen das System in Frage. Die Debatte um die Reduktion von CO2-Emissionen kratzt lediglich an der Ursache der Klimakrise: dem Kapitalismus. Das Prinzip „Wertschöpfung durch Ausbeutung von Menschen und Natur“ führt dazu, dass keine Produktionsstätte von sich aus wertschöpfungsmindernde Maßnahmen setzen wird und man sich auf der individuellen Ebene Klimaschutz erst einmal leisten können muss. Dieses System gilt es zu überwinden.